Die Unwissenheit vieler Privatanleger – Erklärungen durch Behavioral Finance
In den letzten Jahren haben die Niedrigzinsen und die ohne erkennbare Risiken immer weiter steigenden Kurse viele Privatanleger zu einem Investment in Aktien bewogen. Ja sogar in Deutschland gab es eine kleine Bewegung hin zu einer stärkeren Aktienkultur.
Doch vorbei ist nun die schöne Zeit ständiger Kursgewinne und niedriger Volatilität. Wo man auch hinschaut…überall nur noch Risiken. Egal ob Brexit, Italien, Handelskrieg, Wirtschaftsabschwächung usw. An den Börsen ist es 2018 sehr ungemütlich geworden. Wir befinden uns in einer deutlichen Börsenkorrektur (Verluste von mehr als 10 %) und viele Märkte sogar in einem Bärenmarkt (Verluste von mehr als 20 %).
„An der Börse sind zwei mal zwei niemals vier, sondern fünf minus eins. Man muss nur die Nerven und das Geld haben, das minus eins auszuhalten.“
(André Kostolany)
Diese negativen Kursentwicklungen sind jedoch normaler Bestandteil der Börsen. Die Schwankungen der Aktienkurse sind das Risiko, das man als Aktionär dauerhaft tragen und ertragen muss. Immer wieder betone ich: Es gibt keine Rendite ohne Risiko!
Bei steigenden Kursen interessiert das Risiko nicht. Doch kaum beginnen die Schwierigkeiten, wird aus dem Aktionär (dieser beteiligt sich langfristig an einem Unternehmen und damit an der Produktivität der Wirtschaft) ein nervöser und kurzsichtiger Anleger. Jetzt raus aus den Märkten, dann wieder rein, bald danach wieder raus usw. Man versucht mit Prognosen den kurz- bis mittelfristigen Börsenverlauf vorherzusagen. Anleger lassen sich täuschen und versuchen vergeblich mit Market-Timing Risiko zu vermeiden und dennoch eine hohe Rendite zu erzielen.
Warum dieses Fehlverhalten lediglich die Unwissenheit vieler Privatanleger offenbart und welche Folgen es hat, möchte ich im aktuellen „Geldanlage Blog – Goodbye Schönwetter-Aktionär“ auch anhand der Diskussion rund um den Brexit erläutern.
Brexit und die Prognosen
In den vergangenen Wochen habe ich über 100 verschiedene Analysen, Berichte, Einschätzungen und Vorhersagen von Kapitalmarktexperten, Politikern sowie Journalisten zum bevorstehenden Brexit gelesen. Etwa 65 % gehen mittlerweile von einem harten Brexit, also eines Ausstiegs Großbritanniens aus der EU ohne Vertrag, aus.
Auch ich halte dieses „Horror-Szenario“ für durchaus realistisch. Entscheidend ist schon lange nicht mehr, was das britische Volk eigentlich möchte. Entscheidend sind nur noch die Machtspiele und persönlichen Empfindlichkeiten britischer Politiker. Der Brexit ist deshalb auch das Zeichen einer Krise der repräsentativen Demokratie. Die Brexit Hardliner scheinen mit aller Macht die Zukunft ihres Landes „verzocken“ zu wollen.
Die Folgen, vor allem für Großbritannien, wären wohl verheerend. Dem Land drohen dramatische Versorgungsengpässe mit Lebensmitteln, Kraftstoff und Medikamenten, sollte das Land die EU ohne ein Handelsabkommen verlassen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die Wachstumsverluste für die britische Wirtschaft im Falle eines harten Brexits auf vier Prozentpunkte in fünf Jahren. Britisches Pfund und Hauspreise im freien Fall, Produktion lahmgelegt (So arbeitet z.B. die Autoindustrie heute quasi ohne Lagerhaltung. Zulieferer stellen Teile „just in time“ bereit, die direkt nach Ankunft verarbeitet werden. Durch Zollkontrollen wäre dies zunächst einmal nicht mehr möglich.), Exporte brechen ein, Hamsterkäufe und Kampf um Lagerflächen, alle Waren und Personen müssen vor dem Überschreiten der EU-Grenzen wieder kontrolliert werden, Lkw-Schlangen vor den Häfen und Flugzeuge am Boden… Diese Erschütterung wäre auch im Rest Europas deutlich zu spüren. Der Konjunkturaufschwung in der Eurozone würde deutlich gedämpft.
Noch ist ein solches „Worst-Case-Szenario“ in den Börsenkursen nicht vollständig eingepreist. Je nachdem was am 15. Januar beschlossen wird, könnten die Börsen mit deutlichen Kursverlusten reagieren.
Doch wer glaubt, jetzt konkrete Prognosen abgeben zu können, täuscht sich selbst – und seine Anleger bzw. Leser. Leider vertrauen aber viele unerfahrene Privatanleger auf Prognosen und glauben, dass sie ihre Geldanlage anhand dieser Vorhersagen ausrichten müssen.
Brexit und der Stand der Dinge
Wie geht es denn jetzt mit dem Brexit weiter? Was kann man heute ohne Spekulation sagen? Eine Mehrheit im britischen Parlament für das von Premierministerin Theresa May in Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen ist aktuell nicht in Sicht. Es gibt Abgeordnete, die den Deal ablehnen, weil sie auf ein neues Referendum hoffen, andere sind mit Einzelheiten des Austrittsabkommens nicht einverstanden und hoffen auf Nachverhandlungen.
Angesichts der Blockade im Parlament wird zunehmend über eine Verschiebung des für den 29. März geplanten Brexit spekuliert. Einfach wird eine solche Verschiebung nicht, aber möglich ist sie. Im EU-Vertrag in Artikel 50 steht, dass die Mitgliedschaft eines Staates in der EU spätestens zwei Jahre nach der Austrittserklärung endet. Im Falle Großbritanniens ist das also der 29. März 2019. Es sei denn, „der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedsstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern“. Es wäre also die Zustimmung der verbleibenden 27 EU-Staaten nötig. Falls Großbritannien einen gut begründeten Antrag auf Verlängerung der Verhandlungsfrist stellt, würden die übrigen 27 EU-Länder dies wohl kaum ablehnen, hört man aus Brüssel.
Auch könnte es zu einem neuen Referendum kommen. Das ist nach wie vor eine der Möglichkeiten. Zuletzt hatte diese Option im britischen Parlament und auch in der Bevölkerung mehr und mehr Unterstützer gewonnen. Würde es dazu kommen, hätten laut Umfragen die Brexit-Gegner derzeit die Oberhand. Voraussetzung dafür ist ein Parlamentsvotum. Aber auch ein erneutes Referendum gegen den Willen der britischen Regierung durchzusetzen ist theoretisch möglich. Egal ob mit oder gegen die Regierung ein zweites Referendum würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine Verschiebung der Austrittsfrist wäre dann also in jedem Fall nötig.
Warum Prognosen für die Geldanlage nichts taugen
Doch welchen Prognosen soll man jetzt in Bezug auf den Brexit glauben? Soll man den 65 % glauben, die von einem harten Brexit ausgehen, nur weil sie in der Mehrheit sind? Aber auch innerhalb dieser Gruppe gibt es sehr viele unterschiedliche Vorhersagen über den genauen Ausgang.
Viele malen ein Horror-Szenario für die europäische und globale Wirtschaft aus. Der harte Brexit löst demnach eine weltweite Rezession aus. Die Argumente klingeln plausibel und sind absolut nachvollziehbar. Also die Portfolien auf eine globale Rezession vorbereiten?
Andere Prognosen, die den harten Brexit vorhersagen, gehen ebenfalls von negativen Belastungen für die globale Wirtschaft aus. Sie sehen aber keine Gefahr einer globalen Rezession durch einen unkontrollierten Austritt Gr0ßbritanniens aus der EU. Auch ihre Argumente klingen vernünftig. Die Portfolien doch nur auf eine leichte Abschwächung der Weltwirtschaft vorbereiten?
Was ist aber mit den Stimmen, die weiterhin an eine vernünftige Lösung glauben. Kommt es dann überhaupt zu einer Reaktion der Kapitalmärkte? Falls ja, wird sie nicht sogar positiv ausfallen? Die Portfolien also lieber doch nicht absichern?
Was bedeutet diese Gemengelage jetzt für die Geldanlage? Anleger neigen dazu genau die Prognosen als realistisch zu betrachten, die ihren eigenen Überzeugungen entsprechen. Wer also eher an einen harten Brexit glaubt wird nur die entsprechenden Informationen wahrnehmen und das Portfolio entsprechend absichern wollen. Wer an einen anderen Ausgang glaubt wird sich entsprechend anders positionieren. Ob man mit seiner Vermutung richtig oder falsch liegt hat letztlich aber nur mit Glück bzw. Pech zu tun. Es ist eine Wette und hat deshalb nichts mit einer vernünftigen Geldanlage zu tun.
Leider verstehen viele Privatanleger das dahinterstehende generelle Problem nicht, nämlich dass Prognosen für die Geldanlage absolut nichts taugen. Alle langfristigen Auswertungen zeigen dies zwar ganz eindeutig, aber die nervösen Anleger suchen nach Orientierung und klammern sich an Prognosen.
Warum taugen Prognosen bei der Geldanlage jedoch nichts? Dies liegt daran, dass die Märkte auf kurze bis mittlere Sicht sehr effizient sind. Alle bekannten Informationen sind genauso in den aktuellen Kursen bereits enthalten wie die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der weiteren Entwicklung. Im Klartext: Die Entwicklung an den Börsen wird von Faktoren bestimmt, die erst in der Zukunft eintreten. Leider kennen wir aber niemanden, der eine Glaskugel besitzt und deshalb entsprechend zuverlässige Prognosen abgeben kann.
Wirtschafts- und Börsenkrisen lassen sich in der Regel nicht vorhersehen. Ansonsten könnte man sie ja ganz einfach vermeiden. Auch wenn es im Nachhinein oft so aussieht, dass es ja fast zwangsläufig so kommen musste. In der Behavioral Finance“-Fachsprache nennt man dieses Phänomen „Hindsight Bias“.
Obwohl Prognosen aufgrund der Marktfunktionalität nur wenig Sinn machen und oftmals für den Anleger sogar schädlich sein können, orientiert er sich bei seinen Geldanlageentscheidungen doch immer wieder an Prognosen. Wie kann man dieses Fehlverhalten erklären?
Behavioral Finance liefert Erklärungsmöglichkeiten
Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich professionell mit dem Thema Geldanlage. Eine der zentralen Fragen bei der Geldanlage lautet: Warum begehen Anleger immer wieder die gleichen Fehler?
Antworten liefert seit einigen Jahren die Financial Behavior Theorie. Sie verschafft einige sehr bedeutende psychologische Einblicke in die vielen unsinnigen und immer wiederkehrenden Verhaltensmuster von Anlegern. Bei der Geldanlage scheint es oftmals einfach so zu sein, dass alle tun, was alle tun, weil es alle tun!
Die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie beleuchtet die Unsinnigkeiten, die Anleger aufgrund ihrer psychischen Dispositionen begehen. Wissenschaftler wenden Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie auf die Motive für finanzielle Entscheidungen an. Die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie liefert teilweise realitätsnähere Erkenntnisse als die traditionellen Wirtschaftstheorien, die davon ausgehen, dass die meisten Menschen überwiegend rational und objektiv handeln. Denn in Wirklichkeit entscheiden viele Menschen alles andere als rational.
Es ist für jeden Anleger wichtig, dass er die psychologischen Fallen erkennt, in die er regelmäßig tappt. Auch die prognosebasierte Anlageentscheidung stellt eine dieser Fallen dar. Im Folgenden stelle ich Ihnen einige der wichtigsten psychologischen Fallen kurz vor:
Overconfidence – die Selbstüberschätzung
Menschen neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse zu überschätzen. Dies zeigt sich in folgenden typischen Mustern:
- Menschen schätzen sich selber meist besser ein als der Durchschnitt (Bsp.: 80% der Autofahrer halten sich für überdurchschnittlich – was rein mathematisch unmöglich ist),
- sie schätzen die eigenen Fähigkeiten höher ein, als diese tatsächlich sind und
- sie überschätzen, wie oft sie mit ihren Einschätzungen tatsächlich richtig liegen.
Faktoren, die die Selbstüberschätzung begünstigen, sind:
- Je komplexer die Aufgabe, umso wahrscheinlicher wird die Selbstüberschätzung. Werden Aufgaben komplexer, reduzieren Menschen nicht im erforderlichen Umfang ihre Selbsteinschätzung.
- Je länger der Zeitraum zwischen dem Handeln und der Rückmeldung des Ergebnisses (calibration), umso größer die Selbstüberschätzung.
- Über viele Informationen und Kenntnisse zu verfügen erzeugt das trügerische Gefühl von Sicherheit (verhaltenswissenschaftlich: Wissensillusion, ‚Illusion of Knowledge’).
Loss Aversion / Risk Aversion – Verluste bzw. Risiken vermeiden
Menschen erleben Verluste nahezu doppelt so intensiv als vergleichbare Gewinne. Daraus folgt, dass Anleger stärker darauf fokussieren Verluste zu vermeiden, als entsprechende Gewinnchancen wahrzunehmen. Risikoscheues Verhalten ist die Konsequenz. Das Anlageergebnis ist suboptimal.
Besonders negativ sind die Konsequenzen der Verlustaversion im Zusammenwirken mit dem Mental Accounting: betrachten Anleger jede ihre Anlagen separat, wird es unmöglich, von den Vorteilen der Diversifikation zu profitieren. Denn die Diversifikation setzt ja gerade auf eine Risikokompensation, indem nicht alle Anlagen gleichzeitig steigen und fallen. In jedem gut diversifizierten Depot wird es immer einzelne Anlagen geben, die zurückgeblieben, oder gar im Wert gefallen sind.
In diesem Zusammenhang muss man jedoch auch den Dispositionseffekt betrachten. Individuen sind bei bestehenden Geldanlagen im Gewinnbereich eher risikoavers und im Verlustbereich eher risikofreudig. Konsequenz: Sie halten Verlierer zu lange und verkaufen Gewinner zu früh.
Recency – die jüngste Vergangenheit zu weit fortschreiben
Recency beschreibt das Phänomen, dass Menschen dazu tendieren, die jüngsten Trends zu weit (sogar unendlich) in die Zukunft fortschreiben. Dies entsteht dadurch, dass jüngsten Informationen und Daten – obwohl häufig unvollständig -, ein höheres Gewicht eingeräumt wird, als älteren, vollständigen Informationen.
Recency ist wohl einer der prägnantesten Fallen der Anleger, gerade auch der Profis. Wer auf die aktuellen Trends ‚wettet’ – liegt häufig daneben, mit teilweise erschreckenden Konsequenzen für das Vermögen. Denn jeder Trend geht irgendwann zu Ende, verkehrt sich oft sogar in sein Gegenteil.
Psychological Accounting bzw. Mental Accounting – mentale Buchführung
Psychological Accounting, auch Mental Accounting genannt, beschreibt die Neigung von Menschen, Entscheidungen innerhalb eines bestimmten mentalen Rahmens zu treffen, welcher durch die Konsequenzen der Entscheidungen geprägt ist. Menschen beurteilen ihre Entscheidungen vorzugsweise einzeln innerhalb von bestimmten mentalen Körben, als über einen weit gefassten Rahmen.
Teilen Anleger beispielsweise ihr Vermögen auf in Geld, das zu jeder Zeit sofort verfügbar sein muss, Geld, das 100% sicher angelegt sein soll, Geld, das man riskanter anlegen kann und ggf. auch bereit ist zu verlieren (‚Spielgeld’), Geld für das Haus, den Sparvertrag für die Ausbildung der Kinder, die Rentenvorsorge, Rücklagen für das neue Auto, etc.., dann ist das Gesamtergebnis suboptimal. Die Optimierung der Anlage findet dann nur innerhalb des jeweiligen mentalen Kontos statt, nicht über alle Konten hinweg.
Herding – das Herdenverhalten
Herdenverhalten (Trendfolge) beschreibt das Phänomen, dass einzelne Personen ihr Verhalten an anderen ausrichten und als Gruppe letztlich irrationale Effekte auslösen können.
In der Finanzwelt hat Herdenverhalten viele Gesichter: Anleger kaufen, was ‚gut gelaufen’ ist – nicht was gerade stark gefallen ist (und somit gerade günstig und unterbewertet sein könnte). Einschätzungen orientieren sich am ‚Mainstream’, z.B. an der in den Medien vorherrschenden Meinung, oder an der Konsensprognose von Analysten.
Konsequenz aus der Behavioral Finance:
Nur wer diese psychologischen Fallen kennt, kann seine Geldanlage optimal gestalten. Ansonsten führt ein schwieriges Marktumfeld und fallende Kurse nur dazu, dass langfristig sinnvolle Geldanlagen aufgrund einer zu kurzfristigen Sichtweise aufgelöst und Verluste dauerhaft realisiert werden. Am Schluss heißt es dann wieder nur: Goodbye Schönwetter-Aktionär!
Bewertungsorientierte Anlagestrategie – nur so verdienen Sie Geld
Man muss sich darüber bewusst sein, dass wenn Menschen Entscheidungen treffen, es oft zu ungewollten Fehlern kommt. Dies gilt umso mehr für komplexe finanzielle Entscheidungen. Unter dem Einfluss angeborener psychischer Faktoren wie Gier und Angst sowie – in der menschlichen Psyche angelegten – kognitiven Verzerrungen wie Selbstüberschätzung und Verlustaversion tendieren Anleger unbewusst dazu, irrationale Anlageentscheidungen zu treffen.
Man sollte Aktien dann kaufen, wenn sie im historischen Vergleich unterbewertet sind. Dann muss man warten, bis sie sich über kurz oder lang immer mal wieder ihrem Mittelwert annähern („mean reversion“). Der Börsenaltmeister Kostolany hat dies einmal mit einem Spaziergänger verglichen, der mit seinem Hund unterwegs ist. Der Hund symbolisiert dabei die Börse. Er springt einmal vorneweg und ist manchmal weit hinten, kehrt aber immer mal wieder zu seinem Herrn zurück, der den fairen Wert verkörpert.
Was so einfach klingt, fällt vielen Privatanlegern doch so unendlich schwer. Zu verlockend ist es sich dem alltäglichen Börsenrauschen hinzugeben. Immer wieder verlieren Anleger deshalb das Wesentliche aus den Augen. Schnell vergessen Sie, dass es objektive Bewertungsfaktoren gibt, die langfristig stark mit der Börsenentwicklung korrelieren. So weisen langfristig sowohl die Entwicklung der ertragsorientierten Unternehmensgewinne als auch der substanzorientierten Buchwerte eine enge Korrelation zur Börsenentwicklung auf.
Der jährlichen Gewinnanstieg schwankt konjunkturbedingt zwar durchaus stark, aber es lässt sich seit Erfassung der Daten ein durchschnittlicher Gewinnanstieg von ca. 4 % nominal p.a. feststellen. Der Anstieg der Unternehmensgewinne ist über einen längeren Zeitraum betrachtet konstant und lässt sich somit also sehr gut schätzen. Diese Schätzungen sind vergleichbar zuverlässig wie das Wachstum der Weltbevölkerung und die Veränderung der Lebenserwartungen, bei denen es auch nicht so leicht zu Trendänderungen kommt.
Problem an der Sache ist jedoch, dass sich daraus leider keine kurz und mittelfristigen Börsenprognosen ableiten, d. h. hoch bewertete Börsen können weiter steigen, niedrig bewertete Märkte durchaus weiter fallen. Trotzdem sind die Projektionen sehr wertvoll und eine große Hilfe.
Neben den Unternehmensgewinnen spielt auch der Zins eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Aktien und Aktienmärkten. Der Zins hat gleich in dreifacher Hinsicht einen wichtigen Einfluss:
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- Als Abzinsungsfaktor der künftigen Unternehmensgewinne im Rahmen der Aktienanalyse auf den heutigen Bewertungstag. Dabei gilt: Je höher der Zins desto, desto weniger wert sind die künftigen Unternehmensgewinne.
- Die meisten Unternehmen weisen zinstragende Verbindlichkeiten auf. Höhere Zinsen wirken sich negativ auf das Ergebnis der Unternehmen aus.
- Langfristige Anleihen stellen per se die wichtigste Anlagealternative zu Aktien dar. Je höher die mögliche Rendite bei Anleihen, desto weniger attraktiv sind Aktien.
Gerade den Punkt 1 müssen Anleger richtig verstehen. Nach wissenschaftlicher Definition errechnet sich der Fair-Value von Aktien und Aktienmärkten als Barwert der künftigen Unternehmensgewinne. Dem Abzinsungsfaktor kommt also eine große Bedeutung zu.
In der Vergangenheit schwankte dieser Zinssatz um die 6 % und wurde deshalb als konstant angenommen. Nach dem Fed-Modell berechnet sich der Fair-Value eines Marktes, indem man 100 durch den 10-Jahres-Zins dividiert. Und tatsächlich: 100 : 6 = 16,7. Dies entspricht dem durchschnittlichen
Shiller-KGV (Im Gegensatz zum KGV handelt es sich um eine über zehn Jahre geglättete und zugleich inflationsbereinigte Variante dieser Kennziffer.) seit dem 2. Weltkrieg und kann deshalb durchaus als „Mittelwert“ angenommen werden.
In den letzten 30 Jahren hat allerdings parallel zu dem Anstieg der weltweiten Verschuldung ein beispielloser Zinsverfall eingesetzt. 10-jährige Bundesanleihen rentieren aktuell mit 0,2 %. Ein Anstieg auf das frühere Normalniveau würde die Schuldentragfähigkeit aller großen Industrienationen komplett übersteigen.
Geht man davon aus, dass die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen künftig eher um 3 % als um 6 % schwanken wird – was schon einen phänomenalen Anstieg vom heutigen Niveau voraussetzt – dann würde sich der Fair-Value der Aktienmärkte unter dieser Voraussetzung verdoppeln. Aktien haben deshalb auch für die kommenden Jahre hohe Kurspotentiale.
Geduld als oberste Tugend des Investors
Immer wieder betone ich, dass viele Anleger einen viel zu kurzen Anlagehorizont haben. Wie Sie aus den vorangegangenen Erläuterungen erkennen können, lassen sich die Börsen nicht auf kurze oder mittlere Sicht vorhersagen. Ob man mit einer Prognose richtig oder falsch liegt, ist letzten Endes reines Glück.
Als Anleger sollten Sie sich lieber auf die objektiven Bewertungskriterien konzentrieren, die sich langfristig sehr gut schätzen lassen. Lassen Sie sich nicht vom ständig manisch-depressiven Markt anstecken. Der Markt kennt nur Euphorie oder Panik. Entziehen Sie sich diesen Überreaktionen. Denken Sie langfristig. Haben Sie Geduld.
Vergessen Sie nie: “The big money is not in the buying and selling … but in the waiting.”
(Charles Thomas Munger, Vice Chairman der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway)
Portfolioausrichtung:
Die Börsen sind 2018 zum Teil deutlich unter die Räder gekommen. Was kann man für das Jahr 2019 erwarten? Ob es bereits 2019 zu einer Rezession kommt, bleibt weiterhin fraglich. Die einzelnen Indikatoren geben unterschiedliche Signale. Klar ist, dass es zu einer Abschwächung der Weltwirtschaft kommt.
Mit dem Auslaufen der positiven Effekte der Steuerreform lässt die US-Wirtschaft ihren Wachstumsgipfel hinter sich. China verliert als konjunkturelle Lokmotive an Schwung. Es gibt jedoch Hoffnung auf eine Beilegung des Handelskonflikts. Keine Zinserhöhung in Europa (trotz Ende des Anleihekaufprogramms) und Japan. Die Aktienkorrektur wird Rückkopplungseffekte in Gang bringen, die ihrerseits die wirtschaftliche Dynamik für eine wirtschaftliche Dämpfung sorgen.
In vielen Märkten wurden die langfristigen Aufwärtstrends aufgrund der Kurseinbrüche der vergangenen Monate gebrochen. Sollten die Kurskorrekturen z.B. aufgrund politischer Ereignisse (z.B. Brexit) weitergehen, dann müssen viele institutionelle Investoren aufgrund stark sinkender Risikobudgets Aktien verkaufen. Viele Algo-Trader werden diesen Trend dann verstärken und die institutionellen Investoren zu weiteren Verkäufen zwingen. 2019 könnten de Börsen noch weiter unter Druck kommen.
Mittlerweile sind viele Märkte aber durchaus wieder günstig bewertet. Die Dividendenrendite im DAX liegt derzeit bei knapp 3,5 % p.a. (10-jährige Bundesanleihen bei nur 0,2 % p.a.), viele Unternehmen in Europa und Asien bieten mittlerweile wieder KGVs unterhalb des historischen Durchschnitts und/oder notieren zu Kursen, die nahezu am Buchwert liegen.
Mit hoher Gewissheit werden diese Gelegenheiten nicht dauerhaft unentdeckt bleiben. Doch aufgrund der anstehenden politischen Risiken, der weniger starken Liquiditätsbereitstellung durch die Notenbanken und der Spätphase des aktuellen Konjunkturzyklus müssen sich zunächst die „Zittrigen“ – ein weiteres schönes Bild von André Kostolany – von ihren Aktien trennen, damit die Aktien wieder in den Händen der „Hartgesottenen“ liegen und die Kurse wieder steigen können.
Da Kursschwankungen für mich eine ganz normale Begleiterscheinung der Börsenentwicklung sind, werden wir aktuell keine besondere Absicherung wählen. Selbst die stärksten Kursrückgänge haben sich im Nachhinein immer als temporär erwiesen und wurden früher oder später wieder aufgeholt.
Bei einer langfristigen Anlage und einem gut diversifizierten Portfolio stellen Schwankungen eigentlich kein Risiko dar. Zumindest, wenn man wie ich Risiko als die Gefahr nachhaltiger, substanzieller und endgültiger Vermögensverluste ansieht.
Wer Volatilität beschneiden will, sieht sich gezwungen, in schwachen Börsenphasen Aktien zu verkaufen, um sich vor weiteren Kursverlusten zu schützen. Diese prozyklische Handlungsweise führt erfahrungsgemäß oft zu deutlich unterdurchschnittlichen Anlageergebnissen.
Haben Sie Mut für antizyklisches Handeln!
Ihr
Sascha Knapp
Dipl.-Ökonom Sascha Knapp
SK Finance Consulting
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